Den Preis zahlt Argentiniens Mittelschicht
Im Wahlkampf schwenkte er symbolisch die Kettensäge, im Amt bringt er sie zum Einsatz. Argentiniens Präsident Milei, ein libertärer Ökonom, stutzt die Staatsausgaben. Die Folge: Steigende Armut und tiefe Rezession.
Die Zahlen an sich waren zwar schon bekannt, für Argentinien war die Bekanntgabe dennoch eine Sensation: Ein ganzes Quartal bewege sich der Haushalt im grünen Bereich, erklärte Javier Milei in einer staatstragenden, landesweit übertragenen TV-Ansprache. Der erste Haushaltsüberschuss seit 16 Jahren.
«Wir haben das Unmögliche möglich gemacht», rühmte sich Milei, nicht ohne gegen den politischen Gegner auszuteilen: «Auch wenn die Mehrheit der Politik, der Gewerkschaften, des Journalismus gegen uns waren und der Kongress uns keinen Handlungsspielraum gibt.» Dieser Haushaltsüberschuss sei die Garantie, «die Inflationshölle in Argentinien hinter uns zu lassen», so Milei weiter.
Axt an die staatlichen Unterstützungen
Argentinien ächzt seit Jahren unter einem gigantischen Schuldenberg, Milei hat ein chronisches Haushaltsdefizit und einen aufgeblähten Staatsapparat geerbt. Dagegen zückte er bereits im Wahlkampf symbolisch die Kettensäge. «No hay plata», so sein Mantra, «es gibt kein Geld mehr».
Die schwindsüchtige Landeswährung Peso wurde massiv abgewertet, Staatsbedienstete wurden entlassen, öffentliche Bauvorhaben gestoppt, Subventionen gestrichen. «Die Zeit der staatlichen Unterstützung ist vorbei. Null Defizit, das ist für diese Regierung nicht nur ein Werbe-Slogan, sondern ein Gebot», betont der Staatschef.
Verlangsamte Inflation, aber tiefe Rezession
Die Inflation – wenn auch immer noch die höchste Teuerungsrate der Welt – habe sich zumindest verlangsamt, die Devisenreserven seien gestiegen. Helden, so nennt Milei sein Wirtschaftskabinett, das neben ihm Spalier steht. Doch es gibt auch Skepsis.
«Der Markt schaut mit Optimismus auf Mileis Maßnahmen, vor allem das Nulldefizit, aber das bedeutet nicht, dass es einen Blankoscheck gibt», sagt etwa Finanz-Influencer Federico Tessore. Er gibt bei YouTube wöchentlich Anleger-Tipps. «Es gibt auch Zweifel daran, wie nachhaltig die bisherigen Resultate sind, denn mit seinen angekündigten strukturellen Reformen kommt Milei nicht voran. Und die Investoren wissen auch: In Argentinien kann sich sehr schnell wieder alles ändern.»
Denn ein Großteil der Einsparungen beruht schlichtweg darauf, dass Renten, Gehälter und Sozialhilfen nicht mehr an die Inflation angepasst, Rechnungen nicht bezahlt wurden. «Liquadora» nennt man das in Argentinien, was etwa soviel bedeutet wie «Verflüssiger». Die Kosten für diese Strategie trägt vor allem die Mittelschicht. Die Armut ist dramatisch gestiegen, der Konsum eingebrochen, das Land in eine tiefe Rezession gerutscht.
«Da müssen wir jetzt durch»
Bei Mariano Meier zum Beispiel steht ein Großteil der Maschinen still. Der Mittelständler schneidet im Industriegürtel von Buenos Aires Metallteile zu: für Autos, Fahrräder, Industrieküchen. Nun aber kommen kaum noch Aufträge rein – trotzdem hat er Verständnis und Geduld für die Sparpolitik Mileis. Noch.
«Für unser Unternehmen ist das kein guter Moment, die Leute haben kein Geld mehr, niemand kauft mehr was und alles wird teurer», sagt Meier. «Aber ich glaube, da müssen wir jetzt durch. Argentinien braucht einen radikalen Wandel. Du kannst Milei für verrückt halten, aber wenigstens tut er, was er sagt: die Wirtschaft stabilisieren, damit es wieder aufwärtsgeht. Ich habe keine Kristallkugel, aber ich habe Hoffnung.»
Aber der Unternehmer stellt auch fest, dass bei seinen Angestellten, die großteils Milei gewählt hätten, bereits ein Stimmungsumschwung zu spüren sei. Wenn die wirtschaftliche Situation sich in den nächsten Monaten nicht spürbar bessert, werde es kompliziert – auch für Milei, denn er braucht den Rückhalt in der Bevölkerung.
Wird ein Land kaputtgespart?
Eigene Mehrheiten hat der Präsident nicht. Sein großes Reformpaket, das Privatisierung und mehr Deregulierung vorsieht und ihm außerdem Sonderrechte zugestehen würde, hängt nach wie vor im Kongress fest, den er deswegen gern als Rattennest beschimpft. Manche fragen sich längst, ob der libertäre Staatschef das Land langfristig nicht gesund- sondern viel eher kaputtspart.
«Es gibt kein Geld, sagt Milei. Und es stimmt, dass der Staat mehr ausgibt als er einnimmt», sagt der Ökonom und ehemalige Vize-Wirtschaftsminister Fernando Morra. «Aber Milei geht es nicht darum, den Staat zu verkleinern oder effizienter zu machen, sondern ihn aus allem rauszuziehen. Er will den Staat zerschlagen.»
Und dagegen regt sich immer wieder Protest. Zuletzt gingen gegen Mileis Sparpolitik im Bildungswesen Hunderttausende auf die Straße.
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